dinsdag 4 augustus 2009

De Frankfurter Allgemeine over de Dalai Lama

Einmal Erleuchtung macht 49 Euro, Menschlichkeit inbegriffen:

Der Dalai Lama schenkt Frankfurt vier Tage Lächeln.

JAN GROSSARTH

Wo sonst das Tor steht, hat nun Seine Heiligkeit Platz genommen. Auf der Bühne im Frankfurter Fußballstadion hockt die vierzehnte Inkarnation des Dalai Lama auf einem Sessel im Schneidersitz. Um ihn herum, auf dem Podium, sitzen drei Professoren in Anzügen. Sie sprechen mit übereinandergekreuzten Beinen über ihre Lieblingsthemen: über den Klimaschutz der Klimaforscher Mojib Latif, über den Zins der Wirtschaftsethiker Karl-Heinz Brodbeck und über das garantierte Grundeinkommen der Unternehmer Götz Werner. Der Dalai Lama gähnt. Er schwenkt seinen Oberkörper hin und her. Götz Werner unterbricht die Meditation: "Es wäre an der Zeit, jetzt einmal Seine Heiligkeit zu fragen, was er von der Idee des Grundeinkommens hält."

Bis zum Sonntag ist der Dalai Lama an vier Tagen in der Frankfurter Commerzbank-Arena aufgetreten. Etwa zehntausend Menschen kamen pro Tag - auch nicht mehr als zuletzt zu den Spielen des Zweitligavereins FSV Frankfurt. "Ausweg und Hoffnung" steht für Samstag auf dem Programm. Das passt in die Zeit, aber trotz Krise und also Hochkonjunktur der Sinnsuche sind etwas weniger Besucher gekommen als zu den Großunterweisungen des Dalai Lama vor zwei Jahren in Hamburg. Aber die Karten waren auch nicht ganz billig: neunundvierzig Euro für einen Tag, einhundertfünfundzwanzig für alle vier.

Was also hält Seine Heiligkeit vom bedingungslosen Grundeinkommen, einer Idee, die den Menschen in Indien und Tibet womöglich weniger geläufig ist als hierzulande? Der Lama sagt: "Ich weiß es nicht. Ich bin verwirrter als zuvor. Nichts im Leben kann nur positiv sein, sondern es gibt immer auch negative Nebenwirkungen." Plötzlich lacht er laut, und die Menschen lachen mit ihm. Eine Zuhörerin, die gerade noch für das Grundeinkommen applaudiert hatte, quiekt kurz auf vor Entzücken über diese heilige Ehrlichkeit. Sie presst ihre Handflächen zum buddhistischen Segenszeichen aneinander.

Überall vor und in dem Stadion riecht es nach Räucherstäbchen, obwohl nirgends welche zu sehen sind. Nachdem auf dem ersten Podium des Tages die Waldrodung, der Zins und die übermäßige Fleischproduktion gegeißelt wurden, werden im Presseraum Fleischbällchen von Einweg-Holztellern und Cola aus Pappbechern angeboten, für die sich die veranstaltenden drei buddhistischen Verbände hoffentlich nicht haben am Kapitalmarkt verschulden müssen: Bis zum Samstag war die 1,6 Millionen Euro teure Veranstaltung defizitär. Der Besuch ist also keine Kommerzangelegenheit und auch kein Weltjugendtag. Der Altersschnitt liegt vielleicht zehn Jahre unter dem einer katholischen Sonntagsmesse. Die Teilnehmer erinnern an andere Menschlichkeitsmessen wie Biokrebskongresse oder Anthroposophentagungen, auf denen unsichere Menschen nach Vorbildern suchen, die sie in ihrer Ahnung bestärken, dass es eine geistige Realität neben der materiellen gebe.

Immer morgens hält der Dalai Lama eine Begrüßungsrede. Am Samstag heißt zunächst ein Ansager die Besucher willkommen und bekommt einen Blackout, als er das Leitmotto nennen will. Er schaut auf seinen Spickzettel: "Ach ja: Eine Welt, ein Geist, ein Herz." Kurz darauf vergisst auch der Dalai Lama das Thema und lässt es sich von einem Mönch, der schräg hinter ihm sitzt, ins Ohr flüstern. "One world? Yes. One heart, one mind - hm, I don't know." Er lacht über seine Bescheidenheit: "Einige nennen mich Gottkönig, andere einen Dämonen. Aber ich bin ja auch bloß ein Mensch." Seine Stimme bricht fiepsig nach oben aus und hallt in der Arena lange nach. Die Zuhörer applaudieren.

Der Dalai Lama sagt, als "primäre Ebene" eines Menschen bezeichne er die Ebene der Menschlichkeit und Nächstenliebe; das sei die wichtigste, wichtiger als die sekundäre oder weitere Ebenen, auf denen etwa die Religion angesiedelt sei. Auf der primären Ebene herrscht in der Arena größte Harmonie, der schmunzelnde Heilige ist eine prima Projektionsfläche für Humanisten, Sozialisten, Freunde unterdrückter Völker und Christen, denen der Papst zu intolerant und verpflichtend ist. Auf der sekundären Ebene wird nicht diskutiert. Vielleicht ist alles ein großes Missverständnis.

"Ich will endlich Taten sehen", ruft der Klimaforscher - Applaus. Seine Heiligkeit sagt zur Klimapolitik: "Vielleicht stirbt die Welt bald, vielleicht brennt die Sonne bald nicht mehr, das ist dann eben die Realität. Aber bis dahin sollten wir möglichst glücklich sein." Applaus. Der Lama winkt in die Menge, was die Harmonie abermals steigert. Er sagt: "Geistiges Wohlergehen wird nie mit einer Maschine produziert werden können." Am Ende der Diskussion legt der Dalai Lama den Professoren weiße Schals um, einige hundert Besucher laufen vor die Bühne und fotografieren, eine Frau in gelbem T-Shirt murmelt: "Das ist der beste Mensch auf der ganzen Welt." Der Dalai Lama nimmt sich (auf der primären Ebene) nicht so ernst, nimmt die Politik und die Intellektuellen nicht ernst, er lacht und predigt Menschlichkeit und erreicht die Herzen. Die Professoren schwätzen, in der Mitte gähnt der lachende, infantile Gottmensch. Ja, ist Gott denn ein Clown?

Text: F.A.Z., 03.08.2009, Nr. 177 / Seite 27

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