zaterdag 12 december 2009

Gerhard Schröders fauler Friede


Gerhard Schröders fauler Friede

In der gestrigen "Zeit" schreibt der Altkanzler über "Das Recht auf Türme" und sagt: "Das Schweizer Bauverbot für Minarette zeigt: Europas Blick auf  den Islam ist immer noch geprägt von  Angst und Unwissen."
Eine Antwort. Von Necla Kelek

Der bekannteste weise Narr der islamischen Welt ist Nasreddin Hodscha. Er soll im dreizehnten Jahrhundert in Anatolien gelebt haben, und man erzählt sich unter Türken noch heute seine Geschichten. Eine geht so: Nasreddin betrat ein Teehaus und verkündete: "Der Mond ist nützlicher als die Sonne." Die Leute waren erstaunt und fragten, warum. "Weil wir in der Nacht das Licht nötiger brauchen."

Gerhard Schröders Artikel zum Schweizer Minarettverbot erinnert mich mit seinen luziden Erkenntnissen über den Islam an diesen weisen Mann. Der frühere Bundeskanzler schreibt vom Mond: "Der Islam ist keine politische Ideologie, sondern eine friedliche Religion. Das lehrt der Koran." Und als Beweis legt er eine falsche Spur: "Es waren keine islamischen Staaten , die die beiden Weltkriege des vergangenen Jahrhunderts verbrochen worden." Das mit den Weltkriegen hat ja auch niemand behauptet, aber was ist mit dem heiligen Krieg, der seit seiner Erfindung im siebten Jahrhundert die Hälfte der damals bekannten Welt unter sein Schwert brachte und erst tausend Jahre später von den Polen vor Wien 1683 gestoppt werden konnte? Lehrte das der Koran?
Tilman Nagel und Bassam Tibi, zwei der hervorragendsten Islamexperten unserer Zeit, forschten und lehrten in Schröders Nähe, in Göttingen. Sie hätten es ihm besser erklären können als ich: Der Islam ist Hingabe an den einen Gott. Er ist Glaube, Kultur, Weltanschauung und Politik. Seine Lehre kennt keine Trennung von Staat und Religion. Er ist unbestritten auch eine politische Ideologie, auch wenn Schröder das vom Tisch wischen will. Es gibt säkulare aufgeklärte Muslime, aber der Islam selbst kennt bisher keine Aufklärung, relativiert Menschenrechte unter den Vorgaben der Scharia, dem islamischen Recht, wie auch aus der Kairoer Erklärung der islamischen Staaten hervorgeht.
Was Schröder über den Minarettstreit schreibt, ist schlicht diskriminierend - für säkulare Muslime hier und zum Beispiel in der Türkei. Er beschreibt die Werte der Demokratie und Aufklärung ganz richtig als "universell", und gleichzeitig dürfe das nicht bedeuten, "kulturelle und religiöse Unterschiede beseitigen zu wollen." Ja, was denn? Es geht bei der Auseinandersetzung mit dem Islam doch gerade um die Grundfragen, um die Freiheit des Einzelnen, die religiös und kulturell zum Beispiel durch den Zwang zur Heirat eingeschränkt werden, und um die Freiheit von religiöser Bevormundung. Schröder legt zweierlei Maß an und relativiert.
Da sind die Europäer, die die Aufklärung für sich gepachtet haben, und auf der anderen Seite die Muslime, die noch nicht soweit sind, von denen man nicht verlangen kann, dass sie die Menschenrechte achten und zulassen mögen, dass man Kirchen in ihrem Land zulässt. Schröders Männerfreundschaft mit Erdogan und die Hoffnung auf Demokratie in allen Ehren, aber die Frauen in der Türkei werden unter der AKP-Regierung immer weiter gesellschaftlich an den Rand, also ins Haus gedrängt. Nur noch jede vierte Frau ist erwerbstätig. Vor Erdogan war es noch jede Dritte. Aber das scheint Schröder nicht so wichtig, bei dem die "seltenen Fälle von Zwangsehen" und das "Kopftuchverbot" angeblich für das schlechte Image der Muslime herhalten müssen. Den Alltag der Muslime scheint der "Zeit"-Autor nur aus den Nachrichten zu kennen.
Seine Haltung ist die eines Machtmenschen, der Probleme relativiert und Werte formuliert, wenn sie ins politische Kalkül passen. Diese Haltung hat nicht nur die Sozialdemokratie und die Sozialarbeit jahrzehntelang auch in der Integrationspolitik vor sich hergetragen. Die muslimischen Migranten, so wurde unterstellt, sind noch nicht soweit, wir können von ihnen nicht zuviel Eigenverantwortung verlangen.
Die Muslime haben ein Recht auf Moscheen und Minarette. Die Volksabstimmung in der Schweiz über ein Verbot war ein Bocksgesang, ein tragischer Entscheid. Kaum ein Schweizer bestreitet nämlich das Recht der Muslime, ihre Religion zu leben, und wohl jeder gesteht den Schweizern zu, zu entscheiden, wie sie miteinander leben wollen. Tragisch ist die Situation dadurch, dass auf legitime Weise über eine Sache entscheiden wurde, um die es gar nicht ging. Muslimorganisationen, die türkische Regierung und jetzt auch Schröder meinen, es sei über Religionsfreiheit abgestimmt worden, eine Minderheit werde diskriminiert. Solche Schweizkritiker üben sich im Fremdschämen für das Volk und Europa. Tatsächlich wollen sie nicht über den Islam diskutieren, sondern wie immer über Europas Schuld.
Auch in Deutschland stellen Islamvereine Anträge für den Bau von Moscheen, es sind 150 Moscheen mit und ohne Minarett in Planung oder Bau. Es sind meist Repliken trivialisierter osmanischer Sinan-Moscheen mit Kuppel und Minarett, ganz so wie sie zehntausendfach in Anatolien stehen, wahrlich keine "architektonischen Wunderwerke". Auch architektonisch findet eine Integration nicht statt. Nur in den wenigsten Fällen erfährt man etwas darüber, was in den Moscheen geschehen soll, wer sie finanziert. Meist werden nicht sakrale Räume, sondern Islamische Zentren geplant. Die muslimische Gemeinschaft hat mit einer zivilen Bürgergesellschaft Probleme. Ein offener Dialog über das ,"was" der Islam ist, findet nämlich selbst in der Islamkonferenz nicht statt, sondern nur darüber, "wie" eine Gruppe von Muslimen ihn leben will, zum Beispiel mit Moscheen und Kopftüchern, mit den Symbolen Halbmond und Schwert.
Der eigentliche "Hinterhof" ist die Abgrenzung gegenüber der offenen Zivilgesellschaft. Das Misstrauen der Schweizer gegenüber den Moscheevereinen rührt auch aus der Konspiration, die in den Moscheen gepflegt wird. Selbst die Schweizer Regierung weiß nicht, was in den Moscheen gepredigt wird. Von den Muslimen erfahren das die Schweizer sowenig wie die Deutschen. Aber läuft sicher auch unter Religionsfreiheit.
Dass der Islam ein "System" ist und nicht nur der Glaube an den einen Gott, will auch Schröder nicht verstehen, und wieder sind es die Europäer und ihre Medien, die sich ändern sollen, die die Muslime die Muslime mit "verändertem Blick" betrachten müssen. Mit dieser wieder nur an den Westen gerichteten Aufforderung fällt der Altkanzler uns säkularen Muslimen im Streit mit den Wächtern des Islam in den Rücken. Ich kenne mich nicht mit Gasleitungen aus, deshalb schreibe ich auch nicht darüber. Ich schreibe über den Islam und der ist, Gerhard Schröder möge es mir glauben, nicht das, was man im Schatten des Halbmondes sieht. Als anatolische Migrantin möchte ich mit dem Staatsmann, die Weisheit Nasreddins teilen: Der Hodscha setzte sich immer verkehrt herum auf sein Reittier, weil er nicht in dieselbe Richtung wie sein Esel gucken wollte.

Die Soziologin Necla Kelek veröffentlichte zuletzt das Buch "Bittersüße Heimat: Bericht aus dem Inneren der Türkei".

Text: F.A.Z., 11.12.2009