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Frankfurter Allgemeine Zeitung29. Juli 2008
Als ich 2005 mit meinem Buch „Die fremde Braut“ darauf hinwies, dass muslimische Frauen arrangiert oder unter Zwang verheiratet und nach Deutschland als Ehefrauen importiert werden, gab es von Seiten der Muslime, der Türken und ihrer politischen Freunde Protest. Mir wurde unterstellt, ich bauschte Einzelfälle auf, türkischstämmige Politikerinnen bekundeten öffentlich, aus Liebe geheiratet zu haben, nur um mir nachzuweisen, Zwangsheirat habe mit ihrer Kultur und dem Islam nichts zu tun. Migrationsforscher forderten „Gerechtigkeit für Muslime“ und verteidigten Importehen als Reflex auf die restriktiven Einwanderungsbedingungen.
Mittlerweile ist unstrittig, dass hierzulande jährlich Tausende von muslimischen Frauen und Männern durch ihre Familien in Ehen gezwungen werden. Die Frauenhäuser und Beratungsstellen sind voll, weil junge Menschen fürchten, in den Ferien in der Heimat ihrer Eltern verheiratet zu werden.
Hand in Hand gegen Zwangsheirat?
Die islamische Community gerät nicht nur in dieser Frage, sondern auch bei sogenannten Ehrenmorden, Gewalt in der Ehe und der Erziehung durch die öffentliche Meinung unter Legitimationsdruck. Niemand nimmt ihren gebetsmühlenartig wiederholten Spruch „Das hat mit dem Islam nichts zu tun“ mehr ernst. Nun versucht der Vordenker eines „europäischen Islams“, Tariq Ramadan, die Sache für die Muslime zu wenden. Gemeinsam mit Rotterdamer Islamvereinen, dem Berliner, der Muslimbruderschaft nahen Verein „Inssan“ und mit der Unterstützung des Berliner Integrationsbeauftragten Günter Piening fördert er die Initiative „Hand in Hand gegen Zwangsheirat“.Es ist ein Versuch, die inzwischen selbstbewusster gewordenen muslimischen Mädchen einzufangen und muslimisch zu beraten, damit sie nicht mehr zu staatlichen Beratungsstellen oder in Frauenhäuser flüchten und damit Allah verlorengehen. Die Initiative hat sich in Berlin-Kreuzberg vorgestellt und eine Broschüre mit ihren Argumenten in acht Sprachen veröffentlicht.
Nicht im Namen des Islam
Neu und zu begrüßen ist darin das Eingeständnis von Muslimen und Islamvereinen, dass Zwangsverheiratung ein Problem der muslimischen Gesellschaft ist. Natürlich wird das relativiert und angeführt, auch in buddhistischen, hinduistischen und christlichen Gesellschaften sei das ebenfalls ein Problem. Zwangsheirat sei aber kein Problem des Islams, sondern der Kultur. Die Unterscheidung von Kultur und Religion soll die Religion vor der sozialen Verantwortung und kritischer Selbstreflexion retten. Ramadan und andere argumentieren, Allahs Worte und die Taten des Propheten seien ohne Fehler, nur der Mensch sei gelegentlich fehlerhaft. Der Islam bleibt damit von Verbrechen in seinem Namen unbefleckt.Die Erkenntnis, dass Religion und Kultur ein „kulturelles System“ bilden und nicht getrennt zu betrachten sind, wird absurderweise gerade von Muslimen geleugnet, die gleichzeitig die Trennung von Glaube und Alltag, Religion und Politik ablehnen. Zwangsheirat sei nicht islamisch, das soll bereits Mohammed verkündet haben. Dass Mohammed selbst die sechsjährige Aisha heiratete, gilt nicht als Missbrauch oder Zwangsheirat, sondern wird auf der Veranstaltung von Ramadan als „Anekdote“ abgetan, die nur dazu diene, den Islam zu diskreditieren. Der zentrale, im Koran auf die Verheiratung bezogene Vers „Verheiratet die Ledigen“, Sure 24, Vers 32, fehlt in dieser Argumentation. Da steht nämlich nicht „Ihr Ledigen, heiratet“ – was bedeuten würde, dass die Menschen ein selbständiges Recht auf Eheschließung haben würden –, sondern mit dem Verdikt „Verheiratet die Ledigen“ wird die Verheiratung zur Sache der Familie, der Gemeinde.
Lob der Großfamilie
Interessant ist, wie Ramadan und seine Anhänger Familie definieren. Gemeint ist nicht eine Kernfamilie aus Mutter, Vater und Kindern, sondern die Großfamilie, der Stamm. So wird aus der Gemeinschaft der Muslime, der Umma, eine Familienkultur. In der Handreichung liest sich das so: „In einer Familienkultur ist die Familie wichtiger als das Individuum. Die Familie verhält sich als Einheit, um als Ganzes von den anderen Familien des sozialen Umfelds als voll- und gleichwertig anerkannt zu werden (...) Jedes Individuum hat im Interesse der Familie zu handeln.“ Und wenn nicht, so wird die Ehre der Familie verletzt: „In der Gruppe ist Ehre ein gemeinschaftlicher Besitz, für den alle Familienmitglieder Verantwortung tragen, ungeachtet der Hierarchieart in der Familie.“Ramadan und seine Schüler versuchen, die Grundrechte und Werte der europäischen Zivilgesellschaft umzudeuten. Sie sprechen dem Einzelnen das Selbstbestimmungsrecht ab, definieren den Menschen als Sozialwesen und nicht als Individuum, befürworten das System der „Schamgesellschaft“ mit einem fatalen Ehrbegriff. Nirgendwo in dem Büchlein wird dem Einzelnen das Recht eingeräumt, selbst zu entscheiden, ob er überhaupt heiraten will. „Die Familie bildet den Kern der islamischen Gesellschaft, und die Ehe ist im Islam die einzige gestattete Weise, Familien zu gründen.“ Seine eigene Sexualität zu leben ist nicht statthaft.
Eine Art islamische Eheberatung
Und der rot-rote Berliner Integrationsbeauftragte Piening möchte, wie er auf der Veranstaltung sagte, „von Rotterdam lernen“? Ob der Senat das auch so sieht? Tariq Ramadan sagte in Rotterdam unter anderem: „Freiheit ist nicht die Freiheit, die andere von uns verlangen.“ Er meint damit: Jeder hat seine Freiheit jenseits der Gesetze. – Eine interessante Variante, die Scharia als Freiheit zu deuten. Er will auch nicht mehr von Integration reden, denn die Muslime sind für ihn Teil der multikulturellen Gesellschaft, in der alle Religionen mit ihren Vorstellungen gleich und mit ihren Regeln anzuerkennen sind. Dass die europäische Gesellschaft aber die Grundrechte des Individuums zur Not vor jeder Gruppe, der Religion und selbst vor dem Staat schützt, wird tunlichst ignoriert.Unter dem Motto „Gegen Zwangsheirat“ wird also schlicht islamische Eheberatung betrieben. Dabei wird ausdrücklich die arrangierte Ehe als Modell gepriesen, auch wenn eingestanden wird, dass dabei oft Zwang im Spiel ist. „Eine Heirat ist also immer ein Bündnis zwischen Familiengruppen (...) Da eine Heirat ein Bündnis zwischen Familien ist, suchen die Familien die Partner, die am besten zueinander passen, gerade auch, um ein bestmögliches Bündnis zwischen Familien zu erzielen.“ Vor Mischehen wird gewarnt: „Ein muslimischer Junge kann zwar ein christliches Mädchen heiraten, aber ein muslimisches Mädchen darf nicht einen christlichen Jungen heiraten.“
Wider den Zwang zur Ehe
„Die Ehe ist die Hälfte der Religion“ lautet ein weiterer Mohammed zugeschriebener Ausspruch. Ramadans Argumentation ist in diesem Sinne Werbung für den muslimischen Zwang zur Ehe. Denn ohne die verheiratete Frau, ohne die Kontrolle der Männer über die Frau funktioniert die muslimische Gesellschaft nicht. Die Initiative ist deshalb ein Etikettenschwindel. Es muss der Grundsatz gelten: Ehen von Jugendlichen unter achtzehn Jahren sind grundsätzlich als Zwangsehen zu ächten. Jedem jungen Menschen, der in die Lage kommt, von seinen Eltern gegen seinen Willen verheiratet zu werden, muss der Schutz der Gesellschaft gewährt werden.Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser wie Papatya oder die der Autorin Serap Cileli, „Peri – Die gute Fee“, oder „Hatun und Can“ sind ehrliche Antworten auf das Problem Zwangsheirat. Das Gesetz, das Zwangsheirat unter Strafe stellt, muss endlich vom Bundestag beraten und verabschiedet werden. Wir alle sind aufgefordert, Fälle von Zwangsverheiratung zur Anzeige zu bringen und weiter aufzuklären, damit Politiker nicht immer wieder auf Imagekampagnen islamischer Prediger hereinfallen.
Die Zitate stammen aus dem Booklet „Hand in Hand gegen Zwangsheirat“ der Stiftung Islamischer Organisationen Rijnmond (SPIOR) Rotterdam.
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